Mental Health

Die Hypochondrie ist ein mieser Verräter

Ich wache auf. Wieder geplagt von Bauchschmerzen, aber auch nichts Neues für mich. Ich habe seitdem ich denken kann mit Bauchschmerzen zu kämpfen. Mal sind sie schlimmer, mal weniger schlimm, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich einen Tag keine Bauchschmerzen habe. Früher war ich diesbezüglich bei Ärzt*innen, aber niemand konnte etwas ungewöhnliches feststellen. Ich merke, wie die Bauchschmerzen sich irgendwie anders anfühlen. Komisch. Habe seit drei Jahren auch regelmäßig Durchfall. Gehe aufs Klo und bemerke etwas ungewöhnliches: Schleim und Blut. Sofort merke ich, wie mir warm wurde. Die Panik kroch an mir hoch und umhüllte mich. Ich recherchiere im Internet. Diagnose: Darmkrebs. Es muss so sein. Denn ich habe Schleim und Blut in meinem Stuhl. Die Gedanken kreisen den ganzen Tag. Die Symptome wurden noch schlimmer. Ich habe mir für nächsten Tag sofort einen Termin beim Hausarzt ausgemacht. Dieser meinte, ich soll zur Abklärung und Sicherheit eine Darmspiegelung machen. Auch hierfür habe ich schnell einen Termin bekommen – die eigentliche Diagnose: Reizdarm.

Entspannt sitze ich vorm Fernseher und schaue meine Lieblingsserie. Auf einmal kommt es wieder. Dieses komische Gefühl im Brustkorb. Ich spüre ein Engegefühl und es fühlt sich so an, als ob der Herzmuskel sich zusammenzieht und dann mit voller Kraft Blut rauspumpt, sodass es mir manchmal sogar kurz die Luft raubt. Ich setze mich aufrecht hin und bekomme Panik. Schnell google ich meine Symptome. Diagnose: Herzinfarkt oder Herzmuskelentzündung.

Als es nach einer Woche immer häufiger wurde, ging ich schlussendlich zum Kardiologen, bei dem ich zum Glück schnell einen Termin bekommen habe. Dieser machte einige Tests um mir zum Schluss zu sagen, dass ich kerngesund bin. Aber Moment mal, ich spüre das ja wirklich. Da muss etwas sein. Vielleicht hat er nicht gut genug geschaut? Vielleicht sind die Geräte kaputt? Mit gemischten Gefühlen verlasse ich die Praxis. Ein Gefühl von Glück, weil nichts gefunden wurde, ein Gefühl von Unsicherheit, da ja vielleicht etwas übersehen worden ist und trotzdem ein Gefühl von „Verzweiflung“ da ich die Symptome ja wirklich wahrnehme und sie (für mich) real sind…aber es wird einfach nichts gefunden.

Als diese aber nach 3 Monaten immer noch nicht besser wurden, ging ich nochmal zum Kardiologen. Dieses Mal hatten wir ein wirklich ehrliches Gespräch. Er versuchte mir durch die Blume zu sagen, dass das vielleicht psychisch ist. Daraufhin meinte ich, es kann ja sein, dass das psychisch ist und ich hypochondrisch bin, aber dennoch spüre ich es ja. Er hat mir dann sehr feinfühlig zig Möglichkeiten aufgezählt, warum ich diese Symptomatik haben könnte. Gemeinsam haben wir nachgedacht und sind auf die Lösung gekommen; Verspannung. Er hat mir in Ruhe und im normalen Deutsch die Lage des Herzens und das Kreislaufsystem erklärt. Denn nicht immer wenn wir Schmerzen in der Herzregion spüren, muss es das Herz sein, sehr oft verwechselt man das. Er hat zum Schluss auch nochmal alles durchgecheckt und ein paar Tests gemacht, und dann ging ich zufrieden aus der Praxis. PS: Solche Ärzt*innen braucht es einfach viel öfter! Ich bin dankbar für diese Erfahrung – denn so kann man Menschen mit Hypochondrie auch langfristig beruhigen und mit einem guten Gefühl nach Hause gehen lassen.

Als ich dann merkte, dass meine Krankheitsangst, gekoppelt mit dem Waschzwang immer mehr wird, in dem ich wirklich bei jedem zwicken eine ernsthafte Erkrankung vermutete, bin ich den Schritt gegangen und habe mir professionelle Hilfe gesucht. Bis dahin konnte ich mich gut selbst beruhigen, aber ich merkte, dass ich immer schneller und heftiger panisch wurde. Das wollte ich mir nicht mehr länger selbst antun. Die Zunge schmerzt? Zungenkrebs. Ich habe beim Essen ein spitzes „Körnchen“ verschluckt? Ich habe mir etwas aufgeschnitten und blute innerlich. Jemand in meinem Umkreis ist erkältet? Ich stecke mich bestimmt auch an und werde krank.

Dass meine jahrelangen Bauchschmerzen psychosomatisch sind, und was der Grund dafür ist, habe ich in der Therapie gelernt. Das ist ein großer Baustein, für den ich bestimmt noch einige Zeit brauche um „schmerzfrei“ leben zu können. Für mich ist es immer wieder spannend zu reflektieren, was für einen irrsinnig großen Fortschritt ich in mittlerweile fast einem Jahr Therapie gemacht habe. Ich habe gelernt, mir und meinem Körper zu vertrauen und dass mein Körper mir eindeutige Signale sendet, wenn es wirklich ein Notfall ist!

Die Hypochondrie

Hypochondrie bedeutet „Krankheitsangst“. Betroffene haben haben Angst, an einer schweren körperlichen Erkrankung zu leiden (z.B. Krebs). Betroffene suchen sich deshalb immer wieder die Absicherung von Ärzt*innen, bei Familie und Freund*innen oder im Internet (was wirklich keine gute Idee ist), dass keine ernsthafte Erkrankung vorliegt. Nach der Absicherung, fühlt man sich zunächst beruhigt und erleichtert. Häufig ist die Beruhigung aber nur von kurzer Dauer. Bei der nächsten körperlichen Missempfindung kehrt die alte Angst zurück und eine erneute Abklärung und Absicherung ist notwendig, um wieder beruhigt zu sein. Die Aufmerksamkeit richtet sich stark auf den Körper und die Empfindungen die man wahrnimmt wie z.B Kribbeln in den Beinen, Schwindelgefühl, Stechen in der Brust, etc. Man kontrolliert seinen Körper und dessen Funktionen z.B. durch häufiges Pulsmessen, Abtasten des Körpers, etc.. Dieses Verhalten wird auch „Bodychecking“ genannt.

Es kann aber auch sein, dass Betroffene es vermeiden, sich mit ihrem Körper zu beschäftigen und gehen dem Thema „Krankheit“ komplett aus dem Weg. Krankenhäuser, Ärzt*innen, Gesundheitssendungen oder sogar soziale Kontakte werden gemieden, aus Angst vor Konfrontationen mit neuen Krankheitsbefürchtungen.

Manche Betroffene stehen einer psychotherapeutischen Behandlung auch zwiespältig gegenüber. Einerseits ist es Frustration, dass bei den Untersuchungen nichts rauskommt, andererseits denken sie nicht, dass sich seelische und soziale Belastungen auch in körperlichen Missempfindungen ausdrücken können.

Therapie Übungen

Abschließend zeige ich anhand von persönlichen Beispielen verschiedene Übungen, welche ich in der Therapie für Zwangsstörung und Krankheitsangst (Hypochondrie) bis jetzt gelernt habe:

ABC – Modell

Das ABC-Modell nach Albert Ellis. Bei diesem wird versucht, die negative Bewertung einer Situation (langfristig) in eine positive umzuwandeln. Man nennt dies auch „kognitive Umstrukturierung“. Negative Gedanken führen dazu, dass man eine Angst entwickelt oder diese Angst verschlechtert. Fragestellungen sind hierbei folgendermaßen:

  • A: Auslösende Situation: Situationsbeschreibung, was ist passiert und welches Symptom trat auf?
  • B: Gedanken und Bewertungen: Welche Gedanken und Bewertungen sind in dieser Situation aufgetaucht?
  • C: Consequences (Konsequenzen): Verhalten, Gefühle und körperliche Reaktionen: Wie habe ich mich in dieser Situation gefühlt? Wie habe ich mich verhalten und wie hat mein Körper reagiert?
  • D: Konstruktive und hilfreiche Gedanken/Bewertungen: Suchen von alternativen Sichtweisen, die gegen die negativen Gedanken dieser Situation sprechen

A = Situation: Ich habe im Ruhezustand ein Druckgefühl im Brustkorb

B = Das wird immer schlimmer, das geht nie weg, das kann was schlimmes sein

C = Konsquenz:

  • Gefühl: Panik, Verzweiflung, Angst, Unsicherheit, Wütend
  • Körperliche Begleiterscheinungen: Schmerzen werden intensiver, Zittern, Schweißausbruch
  • (sichtbares) Verhalten: Schonhaltung, dauerhaft recherchieren, Abtasten von Brustregion,..

D:

  • Ich bin Hilflos = Ich suche aktiv nach Lösungen
  • Meine Beschwerden werden immer schlimmer = Es wird wieder bergauf gehen
  • Den Tag schaffe ich nicht mehr = Ich habe diese Situation schon so oft, so gut gemeistert

(vgl. Rief, Therapie-Tools Somatoforme Störungen, Beltz 2018)

Schmerztagebuch

Erklärt sich denke ich von selbst. Man trägt von Montag bis Sonntag 24 Stunden seine Schmerzen ein. Das ist wichtig, weil man so erkennen kann, wann diese immer auftreten. Passiert das auch in Ruhe? Oder immer nur wenn man gestresst ist? Oder in der Arbeit?

Dabei trägt man die Schmerzstärke als Zahl zwischen 0 und 10 ein. Falls Schmerzmittel genommen werden, trägt man diese auch ein. Dann schreibt man Aktivitäten auf, dafür gibt es verschiedene Kürzel wie z.B.:

  • Ar = Arbeit und Beruf
  • En = Entspannung
  • Es = Essen
  • Fz = Freizeit
  • G = Gespräche
  • R = Ruhe
  • Sp = Sport

Diese kannst du natürlich für dich selbst bestimmen und nach belieben erweitern.

(vgl. Kappis: Therapie-Tools Schmerzstörungen, Beltz 2019)

Selbstbeobachtungsprotokoll

  1. Situation, in der die Angst auftrat: Beim Fernsehen
  2. Körperliche Symptome: Herzstechen, Gefühl es pumpt nicht richtig
  3. An welche Krankheit haben Sie gedacht: Herzinfarkt, Herzmuskelentzündung
  4. Gefühle: Angst, Sorge, Panik
  5. Grad der Überzeugung 0-100: 80%
  6. Was haben Sie getan? Internetrecherche, Atemübung, Blutdruck/Puls gemessen, Kardiologentermin vereinbar
  7. Konsequenzen ihres Verhaltens: Kurzfristig: Sorge steigt, leichte Beruhigung / Langfristig: Regelmäßige Arztbesuche, keine Besserung der Symptomatik/Panik und Angst

(vgl. Hagenau, Gebauer: Therapie-Tools Angststörungen, Beltz 2014)

SORKC Modell

Das SORKC-Modell von Frederick Kanfer dient dazu, das Verhalten zu analysieren. Dies kann auf unterschiedliche Situationen im Alltag angewendet werden.

  • S = Situation: Was war los?
  • O = Organismus: Körperliche Bedingungen/Verhaltensregeln/Schemata
  • R1 = Reaktion bzw Gedanken: Welche Gedanken hatte ich?
  • R2 = Gefühle: Gefühl Intensität 0-10
  • R3 = Körper: Wo im Körper ist welches Gefühl spürbar?
  • R4 = Verhalten: Was habe ich getan?
  • K = Konsequenzen: Was sind die Konsequenzen meines Verhaltens?

Beispiel Bauchschmerzen:

  • S = Bauchschmerzen
  • O = Selbstunsicherheit, Erkrankung in der Familie,..
  • R1 = Krebs, Blinddarm, Magenschleimhautentzündung, ich könnte sterben wenn es unentdeckt bleibt, „da ist etwas nicht in Ordnung“
  • R2 = 10 – Angst, Hilflosigkeit, Panik, Unruhe
  • R3 = Herzklopfen, beschleunigter Puls, Gefühl sich übergeben zu müssen, brennen und schmerzen im gesamten Bauchraum
  • R4 = Internetrecherche um Symptome genauer zu überprüfen, Gespräch mit Familie/Freund*innen um beruhigt zu werden, Arztbesuch
  • K = Kurzfristig; Verminderung der Anspannung, Angst und Katatrophisierungsgedanken / Langfristig; Dauerhaftes Stresslevel, vermehrte Arztbesuche und Anrufe bei Familie und Freund*innen

Wie ihr beim lesen sicherlich bemerkt habt, ist die Verbesserung der Symptomatik immer nur „kurzfristig“ möglich wenn man in seinem Sicherheitsverhalten bleibt. Gehen wir also davon aus, dass das Sicherheitsverhalten von regelmäßigen Ärzt*innenbesuchen besteht. Das ist anstrengend und nach jedem Ärzt*innenbesuch könnte man schon wieder hingehen, vielleicht wurde etwas übersehen? Deshalb führt dies langfristig auch zu einem erhöhten Stresslevel und zu keiner Verbesserung, weder innerlich noch äußerlich. Hier ist die Angstkurve bei Konfrontation sehr wichtig, das bedeutet: Mein Sicherheitsverhalten ist, wenn ich zum/zur Arzt/Ärztin gehe und meine Freund*innen anrufe. Wenn ich in dieser Situation, in denen ich z.B. Katastrophisierungsgedanken habe, das Sicherheitsverhalten weglasse und nicht zum/zur Arzt/Ärztin gehe, bekomme ich höchstwahrscheinlich eine Panikattacke, oder steigere mich noch mehr in die Thematik rein. Die Kurve steigt also hoch, bleibt da eine Zeit und flacht dann langsam wieder ab. Wenn ich aber bei Angst mein Sicherheitsverhalten nachgehe, vermeide ich quasi die Situation, meine Angst und die Kurve steigt und sinkt sofort wieder ab. Was kurzfristig positiv, aber langfristig eher negativ ist. D.h immer wieder in die Situation gehen, Sicherheitsverhalten weglassen, die Panik aushalten, direkt in die Konfrontation gehen und langfristig gesehen, gewöhnen wir uns an das Gefühl und unsere Angst und die Panikattacke wird immer kürzer/weniger bis sie zum Schluss ganz weg ist.

In der Verhaltenstherapie mit der Diagnose Hypochondrie/Panik,- und Angststörung werden Techniken vermittelt, um die Symptome zu bewältigen und die „Angst in den Griff“ bekommen zu können. Man erhält Informationen über die eigene Erkrankung, sodass man für sich selbst und für das Störungsbild Expert*in wird. Es werden zudem Techniken gelernt um sich „selbst zu helfen“.

  • Man lernt körperliche Symptome richtig einzuschätzen.
  • Die Katastrophenphantasien selbst in Frage zu stellen
  • Die Wahrnehmung gezielt weg von körperlichen Vorgängen und hin zur Außenwelt zu lenken
  • Kompetenz zu stärken und Emotionen wahrzunehmen und zu regulieren
  • Die körperliche Belastungsfähigkeit wieder aufzubauen und emotionale und soziale Belastungen frühzeitig zu erkennen und diesen entgegenzuwirken.
 Therapy is always a good idea 

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